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Presse aktuell 2010
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BZ vom 8.5.10
Alemanne von Welt
". . . wenn der Mensch überall und das heißt nirgends mehr zu Hause ist" — Johann Peter Hebel zum 250. Geburtstag / Von Hansgeorg Schmidt-Bergmann
Hebels Heimat war die Welt. Die Welt der
Dichtung. Das Alemannische seine Weltsprache" ,
schreibt Arnold Stadler in seinem Essay über
Johann Peter Hebels Gedicht "Die
Vergänglichkeit" — und weiter führt er aus:
"Diese war auch ein Instrument der Aufklärung" .
Der Verfasser der "Alemannischen Gedichte" , das
wird nicht selten übersehen, war ein Zeitgenosse
von Lessing, den er schätzte, des Sturm- und
Drang, von Klassik und Romantik, er erlebte die
Französische Revolution, die Kriege, Aufstieg
und Fall Napoleons und den Wiener Kongress, mit
dessen politischen Folgen er im Großherzogtum
Baden auch als Prälat und damit als höchster
Würdenträger des vereinigten Evangelischen
Landeskirche umzugehen hatte. In seiner
Kalendergeschichte "Unverhofftes Wiedersehen" ,
lässt er die Geschichte von fünfzig Jahren in
zwanzig Zeilen Revue passieren, setzt sie
parallel zu dem Lebensweg der unglücklichen
Braut, die ihrem Geliebten treu bleibt bis zu
ihrem Lebensende: "Unterdessen wurde die Stadt
Lissabon in Erdbeben zerstört, und der
siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser
Franz der Erste starb" . Ernst Bloch hat diese
Erzählung, die Hebel in das "Schatzkästlein des
rheinischen Hausfreundes" aufgenommen hat, die
"schönste Geschichte von der Welt" genannt.
Liest man in dieser Sammlung von
Kalendergeschichten, einem der populärsten
Bücher des 19. Jahrhundert, dann ist man
verblüfft über die Frische der Sprache des
humoristischen Moralisten. Mit einer
"Allgemeinen Betrachtung über das Weltgebäude"
beginnen die Beiträge, über "Erde und Sonne"
wird berichtet, denen auch die neuesten
Forschungen ihren Zauber und ihr Geheimnis nicht
nehmen können. Es sind die täglichen
Erfahrungen, die wichtig sind, auch als
Aufklärer traute der Theologe und Dichter nicht
allein dem Verstand. Die Schatten der
Säkularisierung suchte er im Poetischen
aufzuheben, als ein Sprachartist, der in seinen
"Alemannischen Gedichten" und
Kalendergeschichten auf Verständlichkeit setzt.
Der "Hausfreund" verhehlt nicht, für wen er
schreibt. Sein Adressat sind die sogenannten
"kleinen Leute" , denen er in Hertingen, seiner
ersten Arbeitsstelle, später in Lörrach und
Karlsruhe nicht nur als Seelsorger beistand.
"Die Sympathie Hebels ist immer auf der Seite
der Geschundenen und Getretenen" , konstatierte
Ernst Bloch eindeutig. Er gehört zu den genauen
Lesern des Werkes von Johann Peter Hebel. Wie
Walter Benjamin, und von einer anderen
Perspektive aus Martin Heidegger, erkannte der
Philosoph des "Prinzip Hoffnung" in den
hektischen Jahren der Weimarer Republik das
Gemeinschaft stiftende Potential des vorschnell
vielfach bis heute als "naiv" beiseite
geschobenen Lyrikers, Erzählers und Verfassers
theologischer Abhandlungen. Die Sprache Hebels,
so kommentierte er, ist überall " schlicht oder
groß" , ein "feiner, ferner Wind weht drüber" —
und dieser weist den Weg hin auf die
Notwendigkeiten, die ein sinnhaftes Leben erst
ermöglichen.
Inmitten der politischen Wirren und der
territorialen Neuordnung beginnt Hebel den
Dialekt als Literatursprache zu rekonstruieren.
"Ich studiere unsere oberländische Sprache
grammatikalisch, ich suche in dieser
zerfallenden Ruine der altdeutschen Ursprache
noch die Spuren ihres Umrisses" , schreibt er an
den Freund Hitzig. "Er herrscht in dem Winkel
des Rheins zwischen dem Frickthal und ehemaligen
Sundgau, und weiterhin in mancherlei
Abwandlungen bis an die Vogesen und Alpen und
über den Schwarzwald hin in einem großen Theil
von Schwaben" , heißt es in seiner Vorrede zu
den "Alemannischen Gedichten" , die 1803 in
einer Auflage von 1200 Exemplaren in Karlsruhe
erschienen und schnell vergriffen waren. Das
Alemannische war für ihn nicht allein ein
Sprachraum, dessen Bedrohung er durch die
einsetzenden Modernisierungsprozesse entgegen zu
wirken versuchte, sondern ein definierbarer
Kulturraum. In dem Beitrag "Fortgesetzte
Erklärung der Zeittafel. Die Alemannen am
Rheinstrom" im "Rheinländischen Hausfreund auf
das Jahr 1814" , dem Jahr der Abdankung
Napoleons, erinnert Hebel an das Gemeinsame der
Alemannen, die sich jenseits der politischen
Grenzen als ein "Wir" verstanden. In seiner
Lyrik, die sich an die "Freunde ländlicher Natur
und Sitten" richtet, wird das Endliche des
Lebens immer wieder betont, wie in dem
elegischen Gedicht "Die Vergänglichkeit" .
"Aufklärung und momento mori" kommentiert Arnold
Stadler, zentral ist für Hebel die "Klärung des
Aufenthaltortes des Menschen innerhalb des
Ganzen." Auch das ist Aufklärung, sie richtet
sich unmittelbar an diejenigen, die
ausgeschlossen bleiben von den intellektuellen
Diskursen. Wenn "dem Volk das Wahre, Gute und
Schöne mit den heimischen und vertrauten Bildern
lebendiger und wirksamer in die Seele geht" ,
schreibt Hebel , " so ist der Wunsch des
Verfassers erreicht."
Seine Intention wurde verstanden, wie die ersten
Rezensionen zeigen. "Doppelt willkommen müssen
uns diese Gedichte, als Volksgedichte, sein,
deren wir Deutsche so gar wenige besitzen; wie
es denn überhaupt unter einer gebildeten Nation
nur wenige gibt, die zum Volksdichter den
ehrwürdigen Beruf haben. [...]" würdigte der in
Freiburg lehrende Literaturhistoriker und
Lyriker Johann Georg Jacobi. "Unser Dichter
singt den Landleuten, weil er gern unter ihnen
wohnte, weil er an ihrem Feldbau, ihrer
einfachen Wirtschaft und ihren Lustbarkeiten
herzlichen Anteil nimmt" . Die "körnichte
Sprache seiner väterlichen Gegend" wurde erst
durch Hebel zu Literatur. "Der Verfasser dieser
Gedichte, ist im Begriff sich einen Platz auf
dem deutschen Parnaß zu erwerben" , lobte Johann
Wolfgang von Goethe in seiner Rezension — Jean
Paul und viele andere folgten ihm. Auch der
diesjährige Hebel-Preisträger Arnold Stadler:
"Das Gedicht ,Die Vergänglichkeit , halt! Hier
spricht der Dichter, "der Dichter spricht" , und
Achtung! auch der Theologe, der die Bibel auf
seine poetischen Seiten hin abgeklopft hat" .
Der religiöse Anteil in Hebels Werk wird wenig
beachtet, es sind die Heiligen Schriften, die in
den Kalendergeschichten, später in den
"Biblischen Geschichten" , aufgenommen und auf
die Zeit projiziert werden. Dabei geht es nicht
allein um die "letzten Fragen" , sondern um das
poetische Potential des Alten und Neuen
Testaments. Wer das Staunen verliert, dem geht
auch die Einbildungskraft und Imagination
verloren und damit auch die Engel und guten
Geister, Metaphern für das Abgründige und
Unerklärliche, aber auch für das "Wunderbare" ,
das sich aller aufklärerischen Vernunft
widersetzt. Das was unerklärbar bleibt, dem
widmet er sich in seinen Kalendergeschichten.
Der Chronist bewegt sich im Mikrokosmos, das
Unmittelbare, nicht das Vermittelte von
Geschichte wird ihm zum Thema, er denkt, wie der
Theologe, in Generationen, nicht wie der
Historiker in Epochen. Es ist das "Tun und
Lassen seiner kleinen Leute" , die "in all den
Krisen sich herumschlagen" , schreibt Walter
Benjamin über die "Konkretion" , die den
Chronisten antreibt.
Hebels praktische Ethik und sein aufklärerisches
Bildungsprogramm haben den Einzelnen wie das
Ganze im Blick, denn die individuellen Wünsche
und Sehnsüchte lassen sich in Einklang bringen
mit den kollektiven Interessen eines
Gemeinwesens. Das gilt für alle Schichten und
alle religiösen Bekenntnisse, das betont er im
"Rheinländischen Hausfreund" immer wieder. Dem
jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn erklärt
er seinen Lesern zum Vorbild, in dem
"Sendschreiben" "Die Juden" handelt er von der
"Würde und Freiheit des Volks Gottes" — in einem
"der schönsten Prosastücke zur Verteidigung der
Juden, das deutsch geschrieben wurde" , schreibt
kein geringerer als Th. W. Adorno. Was man heute
"Dialog der Religionen" nennt, hat Hebel
praktiziert. "Es sei nirgends geboten und könne
nicht geboten sein, recht zu meinen, sondern
recht zu tun. Selig der dieses tue, er sei Jude,
Türk, Heid oder Christ" .
Das Denken von Johann Peter Hebel, sein Programm
einer situativen Ethik und die damit
einhergehende aufklärerische Toleranz stehen in
Opposition zur einem sozialen Egoismus, der die
Gesellschaft auseinander treibt. Es sind
krisenhafte Zeiten, die einen Halt einfordern.
Dieser kann nur in einem Denken liegen, das die
eigene begrenzte Zeit auf ein möglich sinnhaftes
Ganzes zu projizieren versucht. Die Realität
sieht gegenwärtig anders aus. Vulkanausbrüche
zeigen die Grenzen und auch die Widersinnigkeit
globaler Mobilität, der moderne Mensch feiert
sich in seiner Ortlosigkeit und setzt auf einen
"Fortschritt" , der seine Grenzen noch immer
nicht erkannt hat, das Geld regiert weiter die
Welt. Auch die Geldvernichtung hat Hebel
erfahren, ganz real. Zwei Jahre vor seinem Tod
verliert der Prälat mehr als die Hälfte seines
Vermögens durch den Bankrott des Karlsruher
Bankhauses Friedrich Meerwein. "Man glaubt auf
einmal, ich müsse sehr reich sein, weil man den
Gleichmuth nicht begreifen kann, mit dem ich
diesen Verlust ansehe."
In der "Steigerung ins Einfache" sah Heidegger
das Geheimnis von Hebels Sprache, die erst in
dürftigen Zeiten ganz zur Geltung kommen werde,
wie der Philosoph vielleicht zu Recht vermutete:
Jetzt ist die Zeit, den Moralisten wieder zu
entdecken. "Deshalb mag die Zeit, da Hebels
Gedichte wahrhaft in die Seele gehen, erst noch
kommen; denn nämlich wenn die fortschreitende
Verödung der modernen Welt dem Menschen
unausstehbar geworden ist, dann nämlich, wenn
der Mensch überall und das heißt nirgends mehr
zu Hause ist."
Hansgeorg Schmidt-Bergmann, Jahrgang 1956, ist
Professor für Literaturwissenschaft an der
Universität Karlsruhe und Leiter der
Literarischen Gesellschaft sowie des Museums für
Literatur am Oberrhein Karlsruhe.
ZUR PERSON
Johann Peter Hebel
Der Theologe und Dichter wurde am 10. Mai 1760
in Basel geboren, wo seine Eltern im Sommer im
Haus einer Patrizierfamilie arbeiteten. Seine
Kindheit verlebte er teils in der Stadt, teils
in Hausen im Wiesental, dem Heimatdorf seiner
Mutter Ursula. Nach dem frühen Tod der Eltern
ermöglichten ihm Gönner den Besuch des
Gymnasiums in Karlsruhe und das Studium der
Theologie in Erlangen. Hebel war zunächst Vikar
und Hauslehrer, auch in Lörrach, von 1791 an
Lehrer am Gymnasium in Karlsruhe. Von 1808
bis1814 war er dort Direktor und Subdiakon. 1819
wurde Hebel Prälat der von ihm unierten
Landeskirche. Am 22. September 1826 starb er in
Schwetzingen. Am bekanntesten sind seine
"Alemannischen Gedichte" und die Erzählungen
"Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes".
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