Presse aktuell 2013


BZ VOM 25.04.2013

Himmelblaue Poesie mit doppeltem Boden

Literarische Begegnungen: der Schweizer Autor Erwin Messmer

Von unserer Mitarbeiterin Martina David-Wenk

LÖRRACH. Irgendwann im Laufe der Lesung des Hebelbundes im Hebelsaal des Dreiländermuseums erwähnt der geladene Autor Erwin Messmer aus Bern Johann Peter Hebel, Gerhard Jung und Manfred Markus Jung und stellt sich mit ihnen in eine Reihe. Ihnen allen gemeinsam sei die Liebe zur alemannischen Sprache, die eine eigene Poesie besitze. Dabei schreibt der Berner Autor Erwin Messmer nicht nur in Mundart — was Volker Habermeier, der Leiter der Reihe "Literarische Begegnungen" des Hebelbundes betonte. Er schreibe, wie Hebel auch, sowohl im Dialekt als auch in der Hochsprache. Der in Staad im Kanton St. Gallen geborene Autor selbst spricht von der Standardsprache. Das Schriftdeutsche als Standard für alle Deutschsprechenden, die gemeinsame Sprache in der sich sowohl der Küsten-als auch der Bergbewohner verstehen können.

Er liebe seine St. Galler Mundart sagt er. In einem seiner vielen kleinen Texte untersucht er die Anständigkeit von Gefühlen und kommt dabei tatsächlich zu dem Schluss, Gefühle auszudrücken sei unanständig, zumindest bediene der Gefühle Ausdrückende sich eines unanständigen Vokabulars. In der Mundart zumindest. Die Standardsprache verdrängt und verhüllt, wo sich die Mundart der Fäkalsprache oder des Triebhaften bedient. Der in seinem weiteren Leben als Organist tätige Autor freut sich sichtlich an der Deftigkeit seiner ureigenen Sprache. Während "I ha die zum Fresse gärn" ja noch halbwegs den bildungsbürgerlichen Umgangston trifft, wartet der geneigte Zuhörer schon auf die schöne Schweizer Vorsilbe "hure" . Sie ist eine Verstärkung für alles Mögliche, am besten für etwas Gutes und nun wirklich jenseits aller gesellschaftlicher Konventionen und doch absolut alltagstauglich und gebräuchlich. Erwin Messmer ist kein Schweizer Bukowski, obwohl er das Vulgäre seiner Sprache gerne in seine Texte aufnimmt. Doch der heitere Melancholiker, wie er schon genannt wurde, liebt einfach die Sprache, liebt es mit ihr zu experimentieren, sie aus ihrem Zusammenhang zu reißen oder sie in einen neuen hineinzusetzen.

Messmer Texte sind mitunter heitere Auseinandersetzungen mit Wörtern. Aus dem Titel "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" von Milan Kundera — der unabhängig vom Werk zum geflügelten Wort wurde — macht Messmer "die unendliche Vielleichtigkeit des Seins" . Das Sein mag im Vielleicht bestehen, aus vielen Leichtigkeiten zusammengefügt sein, genaueres überlässt er dem Zuhörer. Solche Wortneuschöpfungen sind voller himmelblauer Poesie, doch immer doppelbödig. Er beschränkt sich gerne auf ein minimalistisches Vokabular und ist doch keineswegs ein minimalistischer Autor. Mitunter reimen sich die Texte sogar, verhalten zwar und nicht gleich erkennbar, doch der Musiker kann sich der Harmonie der Klänge nicht ganz entziehen.

Literarische Begegnungen: Die Reihe geht in die Sommerpause. Am 20. Oktober liest Manfred Markus Jung im Hebelsaal. Infos: www.hebelbund-loerrach.de